Montag, 29. Juli 2013

Nackt = friedfertig


Ach, liebe Leserinnen und Leser, diese Hitze! Wir dachten schon, sie sei auch Londons Bürgermeister Boris Johnson zu Kopf gestiegen, als er diese Woche in der britischen Tageszeitung „Telegraph“ von seinem Berlin-Besuch schwärmte und unsere Stadt in den azurblauen Himmel lobte. So lässig, relaxed und freizügig seien wir inzwischen, dass vor diesem Deutschland niemand in Europa mehr Angst haben müsse. Seine These: Von Leuten, die nackt im Park rumhängen und sich zum Sex in die Büsche schlagen, ist kein Angriffskrieg zu befürchten. Aber wird dieses Berlin-Bild auch in den gebeutelten EU-Krisenländern des Südens geteilt. Wir haben uns umgehört.

Der Grieche. „Kalimera! Ja, ja, habe ich gelesen. Natürlich, Berlin ist eine wunderschöne Stadt“, versichert Botschaftsrat Athanassios Lambrou. „Nur in einem Punkt hat Johnson unrecht: Dass die Mieten niedrig sind, kann man nicht behaupten.“ Er selbst sei erst vor kurzem hergezogen. „Ich habe eine 120-Quadratmeter-Wohnung gefunden und zahle 2000 Euro Miete. Das ist nicht gerade billig.“ Für das Geld bewohnt Lambrou aber keine Bruchbude – anders als mancher junger Grieche, der wegen fehlender Jobs in der Heimat ebenfalls sein Glück in Berlin sucht. Wegen der Mietpreise macht Athanassios Lambrou der deutschen Kanzlerin keine Vorwürfe.

Der Italiener. Der Ruf Angela Merkels, in den Südstaaten nicht selten als unbarmherzige Euro-Domina gescholten, lässt das Hipness-Image der Hauptstadt völlig unbeschadet. Dass es im sommerlichen Berlin womöglich nur deshalb so schön sei, weil die Kanzlerin Ferien macht, könne man gewiss nicht bestätigen, heißt es aus der italienischen Botschaft. Überhaupt sei auf die Anfrage für den „satirischen Wochenrückblick“ nur eine formelle Stellungnahme möglich. Beppe Grillo klingt anders.

Der Portugiese.  Fühlt sich hier zu Hause, weil „wir ebenso wie die Berliner eine offene und tolerante Seele haben“, sagt Luís de Almeida Sampaio. Auch darum sei er Botschafter in Berlin geworden und nicht in London. „Läge Berlin an der Atlantikküste, könnte es vielleicht eine noch lebenswertere Stadt als Lissabon sein.“

Der Spanier. „Ich bin ein großer Freund von Berlin“, sagt Pablo Lopez, spanischer Botschaftsrat. „Die Stadt ist so grün, viel Natur“ – er könne gut verstehen, dass viele Spanier die Freizügigkeit nutzten, um hier neue Erfahrungen zu sammeln. In den Grünanlagen? Oh, nein! Lopez meint das Recht aller EU-Bürger, Arbeit und Wohnort innerhalb der Union frei bestimmen zu können. Nackt im Park sei der Spanier selbst eher nicht so gerne.


Erschienen im Tagesspiegel vom 27.07.2013, MEHR BERLIN

Mittwoch, 3. Juli 2013

Leise hüpfen

Was macht die Familie? Wie ein Vater die Stadt erleben kann

Ohne Kinder wäre diese Stadt erwachsener, stiller. Vermutlich sogar friedlicher. Bevor wir das Trampolin in unserem Innenhofgarten aufgestellt hatten, war die Hausgemeinschaft mehrheitlich damit einverstanden. Jetzt ist die Atmosphäre irgendwie angespannt. Unser Hausverwalter lud zu einer außerordentlichen Eigentümerversammlung im Garten ein. Etwa ein Dutzend Bewohner erschien zu einem klärenden Gespräch. Gewichtige Fragen, über die sich die Eltern (uns eingeschlossen) keine Gedanken gemacht hatten, als sie das Trampolin gekauft und aufgestellt hatten, wurden erörtert: Stellt das Trampolin eine bauliche Veränderung der Gartenanlage dar? Welche wechselnden Standorte kommen infrage, um die Belastungen für die Hausbewohner möglichst gerecht zu verteilen? Müssen die Eltern das Spielgerät ständig beaufsichtigen? Der Verwalter verteilte Kopien mit einschlägigen Gerichtsurteilen.
Eine Anwohnerin verwies auf die Verkehrssicherungspflicht und den Haftungsausschluss für die Eigentümergemeinschaft gemäß der „Trampolinentscheidung“ des Bundesgerichtshofs (VI ZR 223/07, Urteil vom 3.6.2008).
Während die anwesenden Erwachsenen Argumente wogen, hüpften nebenan unsere Kinder auf dem neuen Spielgerät, damit die Versammlung sich einen Eindruck von der Lärmimmission des Vergnügens verschaffen konnte. Der in normaler Gesprächslautstärke und ohne richterliche Hilfe erzielte Kompromiss sieht nunmehr feste Nutzungs- und Ruhezeiten vor. Hüpfverbot täglich von 13 bis 15 Uhr, und am Wochenende dürfen Kinder den Innenhof erst ab 11 Uhr betreten.
Unsere Hausfriedensvereinbarung sieht jetzt strengere Regeln vor als das Landesimmissionsgesetz, das erst vor zwei Jahren zugunsten des Kinderlärms liberalisiert wurde. Darin heißt es: „Störende Geräusche, die von Kindern ausgehen, sind als Ausdruck selbstverständlicher kindlicher Entfaltung und zur Erhaltung kindgerechter Entwicklungsmöglichkeiten grundsätzlich sozialadäquat und damit zumutbar.“
Es gilt aber anzuerkennen, dass Großstadtbewohner gerade zu Hause ein ausgeprägtes Ruhebedürfnis und ein Recht darauf haben, sich vom lärmenden Betrieb draußen erholen zu können. Als Vater einer sechs- und einer zehnjährigen Tochter habe ich dafür großes Verständnis: In unserer Wohnung ist nur Ruhe, wenn die Kinder schlafen.
Inzwischen haben Kinder ja ohnehin kaum noch Zeit zum freien Lärmen, dank ihrer Vollbeschäftigung in ganztagsbetreuten Kitas und Schulen, in Sportvereinen, Musikstunden und etlichen Pflichtterminen mehr. Nur die Ferien bleiben ein Problem. Zwar verreisen viele Kinder mit ihren Eltern, aber die übrigen können dafür umso mehr nerven. Hier müsste der Senat was für den Lärmschutz tun: Wie wäre es mit einem großen Sommercamp, einem Zeltlager draußen vor der Stadt, irgendwo in der Nähe vom Flughafen Schönefeld, wo sie niemanden stören, die kleinen Krachmacher? | Stephan Wiehler

Innere Ruhe finden Sie im Buddhistischen Meditationszentrum Lotus Vihara, Neue Blumenstraße 5 in Mitte (U-Bhf. Schillingstraße). Jeden Sonntag ab 18 Uhr gibt es eine Einführung für Anfänger. Infos unter www.lotus-vihara.de

Dieser Beitrag im Tagesspiegel vom 1. Juli 2013