Die Erinnerung an den 20. Juli 1944 verblasst
70 Jahre liegt das gescheiterte
Attentat auf Adolf Hitler zurück. Im Gedächtnis der Nation
verblasst die Erinnerung an den versuchten Staatsstreich. Die Namen
der Männer und Frauen, die im Widerstand gegen den
Nationalsozialismus ihr Leben einsetzen, sind
den meisten Deutschen heute unbekannt. Nach einer Umfrage des Instituts für Demographie Allensbach wissen nur noch 45 Prozent der Deutschen zu
sagen, was am 20. Juli 1944 geschah – vor 30 Jahren waren es im
Westen Deutschlands noch 61 Prozent. Unter den 16- bis 29-Jährigen
bringen heute nur noch 26 Prozent der Befragten das Datum mit dem
Anschlag auf Hitler in Verbindung.
Ausstellung zum 20. Juli 1944 in der Gedenkstätte Deutscher Widerstand in Berlin. Foto: GDW |
Das Vergessen gehört zur Geschichte
wie es zum individuellen Leben gehört. Auch im kollektiven
Gedächtnis kann nicht alles aufgehoben und bewahrt werden. Sieben
Jahrzehnte und mehr als drei Generationen nach Kriegsende ist die
Zahl der Zeitzeugen, die vom Widerstand gegen Hitler aus eigener
Erfahrung erzählen können, inzwischen sehr klein. Hinzu kommt das
Ungleichgewicht der Kräfte: Die Monstrosität der Naziverbrechen
überschattet den Mut der Wenigen, die Widerstand leisteten.
Vernichtungskrieg und Völkermord, das Leid der Millionen
unmittelbarer Opfer der Verfolgung, lässt vergleichsweise wenig
Aufmerksamkeit für die kleine Minderheit der Aufrechten, zumal ihrem
Handeln das Stigma der Vergeblichkeit anhaftet. Und auch das Stigma
des Verrats wirkt nach: Deutlich tiefer als das Vermächtnis der
Widerständler hat sich im öffentlichen Bewusstsein das
Niederbrüllen der angeklagten Verschwörer durch den
Volksgerichtshof-Präsidenten Roland Freisler eingeprägt, die
Aufnahmen der Nazipropaganda laufen in Endlosschleife durch die
Fernsehdokus.
Im Osten Deutschlands ist die
Erinnerung an den Putschversuch wacher
Bemerkenswert am Ergebnis der
Allensbach-Umfrage ist, dass im Osten Deutschlands 53 Prozent der
Befragten das Datum des 20. Juli 1944 mit dem Attentat auf Hitler zu
verbinden wissen – deutlich mehr Menschen als im Westen der
Republik, wo es nur 43 Prozent sind. Dies überrascht umso mehr, als
der Putschversuch der Wehrmachtsoffiziere in der offiziellen
DDR-Gedenkkultur allenfalls eine marginale Rolle gespielt hat, das
Hauptaugenmerk war dort vor allem auf die kommunistischen
Widerstandskämpfer gerichtet. Es wäre interessant zu erfahren, ob
dieser Wissensvorsprung auch der jüngeren Ostdeutschen eher eine
Folge des staatstragenden Antifaschismus in der DDR ist oder es
vielmehr die individuellen Erfahrungen der Eltern in der zweiten, der
realsozialistischen Diktatur sind, die das grundsätzliche Interesse
an der Tradition des Widerstands bis heute geschärft haben.
Gedenkbriefmarke zum 50. Jahrestag des 20. Juli 1944 aus dem Jahr 1994. |
Auch die Verdrängung hat zum Vergessen
beigetragen. Während die DDR das Erbe linker Widerstandsgruppen wie
der „Roten Kapelle“ in das regimekonforme Geschichtsbild des
kommunistischen Antifaschismus einpasste und dabei ausblendete, dass
auch diese Organisation aus der Mitte der Gesellschaft gewachsen war,
so verengte die Bundesrepublik die Perspektive lange auf die
militärischen Anführer des Putschversuchs vom 20. Juli 1944. Das
weit verzweigte zivile Netzwerk der Mitverschwörer aus Politik und
Verwaltung, getragen von linksliberalen wie konservativen Kräften,
von Protestanten und Katholiken geriet in den Hintergrund. Das mutige
Handeln der Offiziere um Claus Schenk Graf von Stauffenberg diente
als Vorbild für den neuen Staatsbürger in Uniform und begründete
die Tradition einer freiheitlich-demokratischen Bundeswehr, in deren
Schatten zugleich die Verbrechen der Wehrmacht eine ganze Weile
bequem in Vergessenheit geraten konnten.
Posthum wurden die Widerständler vom
20. Juli gewissermaßen zu Teilhabern gemacht an der Verdrängung der
Schuld, der sich die Überlebenden nicht stellen wollten. Auch das
wird leicht vergessen.
Die staatstragende Heroisierung, aber auch die Ablehnung eines verklärten soldatisch-aufrechten Widerstands, macht es für die nachkommenden Generationen schwer, hinter den
entrückten Idolen und Zerrbildern die Menschen mit ihren
Widersprüchen, Gewissensnöten und existenziellen Zweifeln zu
erkennen. Bald wird kein Zeitzeuge mehr da sein, der Schülern von
der Erfahrung der Nazi-Diktatur und dem Widerstand unmittelbar
erzählen und auch emotional vermitteln kann, wie sie wirklich
waren, die Mütter und Väter, die gegen Hitler aufbegehrten. Dann
bleiben nur noch die Geschichtsbücher, die übermächtigen Bilder
und schrillen Töne aus dem Nazireich, ein paar Fernsehinterviews mit Witwen
und Waisen. Und das Vergessen.