Samstag, 19. Juli 2014

Der Widerstand gegen Hitler wird langsam vergessen

Die Erinnerung an den 20. Juli 1944 verblasst

70 Jahre liegt das gescheiterte Attentat auf Adolf Hitler zurück. Im Gedächtnis der Nation verblasst die Erinnerung an den versuchten Staatsstreich. Die Namen der Männer und Frauen, die im Widerstand gegen den Nationalsozialismus ihr Leben einsetzen, sind den meisten Deutschen heute unbekannt. Nach einer Umfrage des Instituts für Demographie Allensbach wissen nur noch 45 Prozent der Deutschen zu sagen, was am 20. Juli 1944 geschah – vor 30 Jahren waren es im Westen Deutschlands noch 61 Prozent. Unter den 16- bis 29-Jährigen bringen heute nur noch 26 Prozent der Befragten das Datum mit dem Anschlag auf Hitler in Verbindung.
Ausstellung zum 20. Juli 1944 in der Gedenkstätte Deutscher Widerstand in Berlin.  Foto: GDW


Das Vergessen gehört zur Geschichte wie es zum individuellen Leben gehört. Auch im kollektiven Gedächtnis kann nicht alles aufgehoben und bewahrt werden. Sieben Jahrzehnte und mehr als drei Generationen nach Kriegsende ist die Zahl der Zeitzeugen, die vom Widerstand gegen Hitler aus eigener Erfahrung erzählen können, inzwischen sehr klein. Hinzu kommt das Ungleichgewicht der Kräfte: Die Monstrosität der Naziverbrechen überschattet den Mut der Wenigen, die Widerstand leisteten. Vernichtungskrieg und Völkermord, das Leid der Millionen unmittelbarer Opfer der Verfolgung, lässt vergleichsweise wenig Aufmerksamkeit für die kleine Minderheit der Aufrechten, zumal ihrem Handeln das Stigma der Vergeblichkeit anhaftet. Und auch das Stigma des Verrats wirkt nach: Deutlich tiefer als das Vermächtnis der Widerständler hat sich im öffentlichen Bewusstsein das Niederbrüllen der angeklagten Verschwörer durch den Volksgerichtshof-Präsidenten Roland Freisler eingeprägt, die Aufnahmen der Nazipropaganda laufen in Endlosschleife durch die Fernsehdokus.

Im Osten Deutschlands ist die Erinnerung an den Putschversuch wacher

Bemerkenswert am Ergebnis der Allensbach-Umfrage ist, dass im Osten Deutschlands 53 Prozent der Befragten das Datum des 20. Juli 1944 mit dem Attentat auf Hitler zu verbinden wissen – deutlich mehr Menschen als im Westen der Republik, wo es nur 43 Prozent sind. Dies überrascht umso mehr, als der Putschversuch der Wehrmachtsoffiziere in der offiziellen DDR-Gedenkkultur allenfalls eine marginale Rolle gespielt hat, das Hauptaugenmerk war dort vor allem auf die kommunistischen Widerstandskämpfer gerichtet. Es wäre interessant zu erfahren, ob dieser Wissensvorsprung auch der jüngeren Ostdeutschen eher eine Folge des staatstragenden Antifaschismus in der DDR ist oder es vielmehr die individuellen Erfahrungen der Eltern in der zweiten, der realsozialistischen Diktatur sind, die das grundsätzliche Interesse an der Tradition des Widerstands bis heute geschärft haben.
Gedenkbriefmarke zum 50. Jahrestag
des 20. Juli 1944 aus dem Jahr 1994.

Auch die Verdrängung hat zum Vergessen beigetragen. Während die DDR das Erbe linker Widerstandsgruppen wie der „Roten Kapelle“ in das regimekonforme Geschichtsbild des kommunistischen Antifaschismus einpasste und dabei ausblendete, dass auch diese Organisation aus der Mitte der Gesellschaft gewachsen war, so verengte die Bundesrepublik die Perspektive lange auf die militärischen Anführer des Putschversuchs vom 20. Juli 1944. Das weit verzweigte zivile Netzwerk der Mitverschwörer aus Politik und Verwaltung, getragen von linksliberalen wie konservativen Kräften, von Protestanten und Katholiken geriet in den Hintergrund. Das mutige Handeln der Offiziere um Claus Schenk Graf von Stauffenberg diente als Vorbild für den neuen Staatsbürger in Uniform und begründete die Tradition einer freiheitlich-demokratischen Bundeswehr, in deren Schatten zugleich die Verbrechen der Wehrmacht eine ganze Weile bequem in Vergessenheit geraten konnten.
Posthum wurden die Widerständler vom 20. Juli gewissermaßen zu Teilhabern gemacht an der Verdrängung der Schuld, der sich die Überlebenden nicht stellen wollten. Auch das wird leicht vergessen.


Die staatstragende Heroisierung, aber auch die Ablehnung eines verklärten soldatisch-aufrechten Widerstands, macht es für die nachkommenden Generationen schwer, hinter den entrückten Idolen und Zerrbildern die Menschen mit ihren Widersprüchen, Gewissensnöten und existenziellen Zweifeln zu erkennen. Bald wird kein Zeitzeuge mehr da sein, der Schülern von der Erfahrung der Nazi-Diktatur und dem Widerstand unmittelbar erzählen und auch emotional vermitteln kann, wie sie wirklich waren, die Mütter und Väter, die gegen Hitler aufbegehrten. Dann bleiben nur noch die Geschichtsbücher, die übermächtigen Bilder und schrillen Töne aus dem Nazireich, ein paar Fernsehinterviews mit Witwen und Waisen. Und das Vergessen.

Mittwoch, 4. Juni 2014

Die große Berliner Freiheit

Auch 25 Jahre nach dem Mauerfall hat Berlin anarchischen Charme bewahrt. Das ist viel wert. Unsere Botschaft an die Welt: Wir sind das Volk. Wir machen, was wir wollen - und jeder kann mitmachen.


Vor fünf Jahren, zum 20. Jahrestag des Mauerfalls, fielen bunt bemalte Dominosteine. An diesem 9. November will der Berliner Senat mit einer Lichterkette „ein Symbol der Hoffnung auf eine Welt ohne Mauern“ setzen. Auf zwölf Kilometer Länge sollen leuchtende Heliumballons den früheren innerstädtischen Grenzverlauf markieren, der heute fast nicht mehr sichtbar ist.

Eine Menschenkette hätte sicher noch größere symbolische Strahlkraft. Stellen wir uns vor: Hunderttausende Hand in Hand auf dem einstigen Mauerstreifen, als Zeichen der Versöhnung in Europa und der Welt – im Geist von Frieden und Freiheit.

Ein Zeichen, mit dem sich das Datum auf seine geschichtlichen Dimensionen bezieht, den Beginn des Ersten Weltkriegs vor 100 Jahren und des Zweiten Weltkriegs vor 75 Jahren. Berlin wäre dafür der richtige Ort.

Aber so nah kommen sich das Volk und seine staatlichen Repräsentanten in Berlin ungern. Es wäre fast ein Wunder, wenn sie ausgerechnet zum Jahrestag des Mauerfalls gemeinsam etwas Großes auf die Beine stellen würden. Freisinnige Bürger und ihre gewählten Vertreter wahren Distanz. Für staatlich gelenkte Masseninszenierungen gibt es – aus historisch einleuchtenden Gründen – wenig Sympathie. Das Gedenken an die deutsche Einheit ist geteilt, das Volk feiert den Tag des Mauerfalls, dem Staat gehört der offiziöse 3. Oktober.

Denn der 9. November 1989 bleibt ein subversives Datum. Es symbolisiert den Triumph des Volkes über die Staatsmacht. Die Selbstbefreiung der Ostdeutschen aus dem Staatsgefängnis DDR erfüllte die Freiheitssehnsucht in einer Stadt, deren Bewohner jahrzehntelang die Folgen von Diktatur und Krieg spürten und nur eingeschränkte demokratische Rechte und Souveränität besaßen. Die Wahnsinns-Novembernacht vor 25 Jahren befreite Berlin von dem Bann, der über die Stadt verhängt war, nachdem von hier aus die Welt des 20. Jahrhunderts so gewaltsam, irrsinnig und profund verändert wurde. Und die Deutschen, in glücklichen Revolutionen ungeübt, erlebten in dieser Nacht, was sie mit Mut erreichen konnten: Selten ging solche Macht vom Volke aus, dass ein Staat dagegen machtlos war.

Seit 1989 wissen die Deutschen, wie viel Macht
tatsächlich vom Volk ausgeht


Lange her, dieses deutsche Herbstmärchen, fast nicht mehr wahr. Ein Mythos, verweht vom wind of change des Einheitsalltags. Die Generation, die vom Fall der Mauer geprägt ist, vermag die Teilung der Stadt mangels historischen Anschauungsmaterials kaum noch an ihre Kinder zu vermitteln.

Auffällig ist außerdem, mit wie wenig Pathos das epochale Ereignis im Bewusstsein der Deutschen belegt ist. Selbst die Feiertagsrhetorik vom vereinten Deutschland im Herzen Europas nimmt sich bescheiden aus gegen die Euphorie, mit der ausländische Gäste den Mauerfall bestaunen. Berlin, die Stadt der Freiheit, das ist die Story, die Jahr für Jahr Millionen Besucher in ihren Bann zieht – während die Deutschen selbst ihre Einheitsfeste bescheidener feiern als jede Fußball-WM.

Wer hätte gewagt, von dieser Zukunft zu träumen, vor 25 Jahren? Berlin ist frei, Deutschland vereint mit Europa, die letzten Reste der Mauer stehen unter Denkmalschutz. Und wenn ein ehemaliger KGB-Spitzel die Bagger rollen lässt, um den einstigen Schutzwall an der East Side Gallery für die freie Zufahrt zu einem Luxuswohnturm zu durchlöchern, reist David Hasselhoff als Mauerschützer aus Amerika an. „Wir sind das Volk“, ruft dazu der Protestchor, fast wie ’89, nur mit dem Zusatz: „Die Mauer bleibt stehen“. Verkehrte Welt, verrücktes Berlin.

Bei solchen symbolgeladenen Konfrontationen scheint es, als habe die Wende nie ein Ende gefunden. Als werde diese außergewöhnliche Geschichte, in der das Volk ein Regime abschaffte, in einem unberechenbaren Spiel ständig neu variiert und sei es – ganz post-postmodern – als unfreiwillig ironisches Retro-Zitat. Die Revolte ist zum demokratischen Alltag geworden. So viel ist sicher: Berlin regt auf – und zieht an. Wenige lässt die Stadt gleichgültig. In einer zunehmend leidenschaftslosen Welt ist das ein nicht zu überschätzendes Kapital.

Rebelliert wird gegen alles und jeden, Autoritäten werden aus Prinzip verachtet. Der Widerstand artikuliert sich mal ernst, mal fröhlich, als Freiheitsbewegung oder Befreiungsfolklore. Proteste, Demos, Runde Tische, Bürgerinitiativen, Petitionen,Volksbegehren, für das Tempelhofer Feld, gegen Bebauung, für Flüchtlinge, gegen Fluglärm, für Milieuschutz, gegen Clubsterben, für Rekommunalisierung, gegen Baumfällungen.

Der Volkswille agiert so frei und heterogen, dass die Berufspolitik immer öfter überfordert und defensiv reagiert. Bloß keinen Widerstand provozieren, scheint die Lektion von ’89 selbst für lupenreine Demokraten; jederzeit könnte die kritische Masse wieder den Aufstand proben. Entscheidungen werden, wo es geht, vermieden oder vertagt. Es herrschen die Mediatoren und Vermittlungsausschüsse. Richtig souverän wirkt das nicht. Die Freiheit kommt an neue Grenzen.

So viel Zukunft wie heute hatte Berlin lange nicht

Nach dem jahrzehntelangen Winterschlaf, in den der Kalte Krieg die geteilte Stadt versetzt hat, hat sich in dem kurzen zurückliegenden Vierteljahrhundert fast alles in Berlin verändert: Alliierte Armeen zogen ab, Parlament und Regierung zogen ein. Neue Quartiere wuchsen heran. Die Flieh- und Anziehungskräfte der Wanderungsdynamik haben die Stadtgesellschaft umgewälzt. Berlin behauptet sich inzwischen widerspruchslos als impulsives Zentrum einer neuen Republik, die liberaler, weltoffener, toleranter geworden ist – und die sich zugleich unbelasteter der Verantwortung vor der Geschichte und den Herausforderungen ihrer Zukunft stellen kann. So viel Zukunft wie heute hatte Berlin lange nicht, glaubt man den Machern und Vordenkern, die das Potenzial dieser Stadt an jedem neuen Tag beschwören wie Schamanen die Geister der Ahnen.

Aber je tiefgreifender und schneller sich der Wandel vollzieht, desto stärker werden auch die Beharrungskräfte, desto mächtiger wirkt die Vergangenheit nach. Die Geschichte lässt uns nicht los, sie steht der Stadt auf der Stirn, sie schlummert unter unseren Füßen. Es gibt hier keinen ersten Spatenstich, mit jeder Schippe wird belastetes Material zutage gefördert, wie sich gerade beim Neubau des Berliner Stadtschlosses zeigt, mit dem unversehens das verdrängte Erbe des deutschen Kolonialismus ins Bewusstsein rückt.

Die Erinnerungskultur gedeiht, die Intensität des Vergangenen und das Interesse an der Geschichte der Stadt nehmen zu – gerade auch bei jenen, die neu ankommen, um zu bleiben. Wer hier Heimatgefühle entwickeln und Wurzeln schlagen will, auf den färbt unweigerlich auch die angestammte Mentalität ab. Dazu gehören nicht nur die berüchtigten Umgangsformen, die gewitzte Schlagfertigkeit, mit der man sich hier von je her gleichermaßen gegen die Zumutungen der Großstadt wie gegen zuwandernde Landeier zur Wehr gesetzt hat. Auch die Folgen der Isolation, das jahrzehntelange Leben auf einer Gefangeneninsel abseits des großen Weltgeschehens haben geprägt – in der reisebeschränkten „Hauptstadt der DDR“ ebenso wie im eingemauerten Westteil der Stadt, wo die Freiheit nur dank großzügiger Alimentierung durch die Bundesrepublik und den Schutz der Westalliierten erhalten wurde.

In diesem offenen Vollzug, zwischen Kriegsbrachen, abbruchreifen Altbauvierteln und verlassenen Industrien entdeckten die Nach-68er ihre Freiräume für die Erprobung alternativer Lebenskonzepte. Soziale Stadt, Biokost und urbanes Gärtnern, genossenschaftliches Wohnen und Arbeiten, Patchwork, Car Sharing, Gleichstellung – beinahe alles, was heute in der Berliner Republik auf der politischen Agenda steht, wurde in den Berliner Experimentierlabors der 70er und 80er Jahre zur gesellschaftlichen Serienreife entwickelt.

Die neue Freiheit wird für viele zur Freiheit der anderen

Doch die Avantgarde ist ausgewechselt. In die Hinterhöfe und Fabriketagen sind Think Tanks, Kreative und Firmengründer eingezogen. Es geht aufwärts in Wirtschaft, Forschung, Wissenschaft. Lange hat die Politik um Investoren, Unternehmer und Gebildete geworben, den Zustrom von Kapital und Arbeit herbeigesehnt. Nun, da die Marktdynamik die Stadt erfasst, reagiert sie auffällig ratlos und verzögert auf die sozialen Folgen.

Die neue Freiheit wird für viele, die sich die Stadt immer weniger leisten können, zur Freiheit der anderen. Was autonome Fassadenmaler längst wissen, erfasst auch die Mitte der Gesellschaft: Die Grenze verläuft nicht zwischen Ost und West, sondern „zwischen oben und unten“.

Das erhöht den diffusen Unmut und berechtigt zum basisdemokratischen Aufbegehren. Und selbst für die Haltung der Totalverweigerung und Frontalopposition, hinter der sich die selbst erklärten Nachfahren des einstigen linken Aufbruchs verschanzen, kann man Verständnis haben, ohne sie gutzuheißen. Nie hat jemand die Absicht, eine Mauer zu errichten. Stets wird auf Notwehr plädiert gegen die widrige Wirklichkeit oder die Natur des Menschen, die sich guten Absichten verstellt. Ähnlich provozierend wirkt zuweilen die Arroganz der Macht, wo sich staatliche Institutionen und ihre demokratisch legitimierten Vertreter als abgeschottete Obrigkeit gerieren und, statt ihr Handeln transparent und bürgernah zu gestalten, obendrein für selbst verschuldete Pleiten, Pech und Pannen die Verantwortung verweigern.

Freiheit will gelernt sein, besonders in einer Stadt, die Jahrzehnte der Fremdbestimmung unter Diktaturen und Siegermächten hinter sich hat. Berlin hat Nachsicht und Geduld verdient. Unter den europäischen Hauptstädten ist die deutsche noch ein Bewährungskandidat. Der Freigänger mag eine günstige Sozialprognose haben. Aber er bleibt ein Bursche mit dunkler Vergangenheit, mäßigen Manieren und abgebrochener bürgerlicher Existenz in prekärer ökonomischer Lage. Und wie es häufig ist mit schrägen Typen, so wirkt auch Berlin unwiderstehlich und übt eine magische Anziehungskraft aus.

Der offene Horizont und die Freiräume machen Berlin zum Sehnsuchtsort
Rund 40 000 neue Einwohner zählt die Stadt jährlich. Kommen sie nur aus Rauflust, um mit uns zu rebellieren? Natürlich nicht, oder wohl nicht nur. Es sind die Potenziale, der offene Horizont, die Freiräume und Möglichkeiten, das Laissez-faire und das Anything goes, die Berlin zum Sehnsuchtsort machen – und selbst jenen, die mit wenig kommen, eine Zukunft versprechen.

Die Ruinen, Brachen und leeren Fabrikgebäude gehen langsam aus, irgendwann wird auch Berlin eine Metropole sein wie andere. Vielleicht kommen dann nicht weniger Hacker und Datenschützer, Dissidenten, Freigeister und Glücksritter, sondern stattdessen mehr Dax-Unternehmen, internationale Finanzjongleure oder russische Milliardäre nach Berlin. Das muss ja nicht schaden.

Doch je mehr sich die Verhältnisse an die anderer Weltstädte angleichen, desto größer wird für Berlin die Herausforderung, seinen Markenkern zu erhalten, seine identitätsstiftende, verbindende Erzählung in die Zukunft fortzuschreiben.

Mauern einzureißen, das Klima der Vielfalt und Toleranz aktiv zu fördern, auch den unberechenbaren, anarchischen Impulsen Raum zu geben, das ist eine Lebenshaltung, die politischen Mut fordert. Berlin – die Stadt der Freiheit, dieses Image ist allein mit purzelnden Dominosteinen, Lichterketten und Gedenkstätten nicht dauerhaft zu behaupten.

Die Freiheit ist das Erbgut der Stadt: Der Fall der Mauer war ihr jüngster Triumph in einer langen Geschichte – vom Religionsedikt des Großen Kurfürsten über die Aufklärung, die bürgerliche Revolution bis zum Sozialstaat. Die Freiheit überlebte im Widerstand gegen die Diktaturen, sie hielt die geteilte Stadt zusammen, sie bleibt die fordernde Kraft der Demokratie, sie treibt die Blüten der Sub- und Gegenkulturen.

Wir haben die Freiheit. Es ist unsere wertvollste Ressource, und wir sollten großzügig mit ihr sein. Ein wenig mehr Gelassenheit, etwas mehr weltstädtische Klasse, auch Extravaganz und Spleen könnte sie vertragen, die Berliner Freiheit, auch mit etwas mehr Stolz sollte sie gelebt werden. Das kommt vielleicht noch. Die Frucht der Freiheit muss reifen – und ist leicht verderblich, wenn wir sie nicht zu schätzen wissen. Sie will erkämpft und verteidigt werden. Das kostet Kraft. Wer wüsste das besser als die wiedervereinten Berliner. Anstrengend ist immer die Freiheit der anderen.

Dieser Beitrag ist am 2.2.2014 unter dem Titel „Wir sind so frei“ im Tagesspiegel erschienen.