Freitag, 8. März 2013

"Berliners fight for Hitler's wall!"


#Eastsidegallery - "Das Ausmaß des Protests hat mich überrascht." Bürgermeister Franz Schulz (Grüne) bleibt dabei: Der Mauerstreifen am Friedrichshainer Spreeufer soll unbebaut bleiben und als authentischer Gedenkort erhalten werden. Das Interview im Tagesspiegel


>>

Ach, liebe Leserinnen und Leser, wieder entzweit die Mauer die Menschen in dieser von Gentrifizierung geschundenen und wegen unfertiger Großprojekte verhöhnten Stadt. Der Kampf an der ehemaligen Zonengrenze geht in eine neue Runde. Diesmal zum Glück ohne Waffen und Schießbefehl. Vielleicht wird die Auseinandersetzung ja gerade deshalb so erbittert geführt, weil die Abschreckung fehlt. Früher jedenfalls war der Todesstreifen demofreie Zone.
In den vergangenen Tagen haben wir gelernt, dass der Betonwall ein Kulturdenkmal geworden ist. Margot Honecker wird es in ihrem chilenischen Exil mit Genugtuung erfüllen. Beim Protest gegen den Mauerdurchbruch an der East Side Gallery wuchs zusammen, was nicht zusammenpasst. Mediaspree-Gegner, Hipster, Tourismuswerber und Denkmalschützer gingen gemeinsam demonstrieren – mit internationaler Strahlkraft. Auch in Amerika machte das Schlagzeilen: „Berliners fight for Hitler’s wall“, schrieb der „Boston Globe“ oder irgendeine andere texanische Zeitung. Egal. Aber wie denken die normalen Berlinerinnen und Berliner über den Streit? Wir haben uns umgehört.

Schöneberg, 11.30 Uhr: Axel O. (46), Coiffeur, in Eile am Winterfeldtplatz: „Ochnee, nicht zu politischen Fragen. Ich muss jetzt Schrippen holen. Schüssi.“
Geteiltes Schicksal. Grenzhund Bello und sein Dienstherrchen
von der NVA sind seit 23 Jahren arbeitslos. Forum DDR-Grenze

Hellersdorf, 12 Uhr: Gertrud M. (92), auf einer Bank im Liberty Park: „Dafür sind wir ’89 nicht auf die Straße gegangen, dass die Mauer stehen bleibt. Ich sowieso nicht – als Frau vom Minister.“

Lichtenberg, 12.25 Uhr: Geschichtslehrer Günter Z. (58), im zweigestreiften Trainingsanzug vor dem Sportforum Hohenschönhausen. „Bloß nicht noch mehr Löcher. Kommen schon genug rüber, Studenten und Zeugs. Wird alles nur teurer.“ Schaut die Straße raufrunter und kommt ganz nah ran. „Wenn’s nach mir geht: Wieder aufbauen die Mauer, aber diesmal sechs Meter hoch - mindestens.“

Wilmersdorf, 13.05 Uhr: Benny P. (15), auf dem Schulhof des Goethe-Gymnasiums, konzentriert sich auf sein Handy-Ballerspiel: „Was für ’ne Mauer…? Ach Scheiße, jetzt bin ich tot“.
Reinickendorf, 16.40 Uhr: Ernst-Friedrich B. (74), emeritierter Germanistik-Dozent aus Heiligensee: „Wissen Sie, Iest Seid Gällerie, da sage ich Ihnen gleich gar nichts dazu. Die Verenglischung der Schandmauer halte ich für eine Beleidigung der deutschen Sprache – und unserer West-Alliierten.“

Treptow, 18 Uhr: Vor dem Herrenrasse-Ausstatter „Hexogon“ in Schöneweide. Pascal H. (23) versteht die Frage nicht. „Welche Mauer? Scheiße, du bist gleich tot, Zecke.“


Spandau, 19.10 Uhr: Walter P. (88), Bierstübchen Schönwalder Straße. : „Wat? Die Grenze is’ uff? Mach keene Witze.“


Erschienen im Tagesspiegel vom 9. März 2013, MEHR BERLIN

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen