Freitag, 22. März 2013

Bürger, an die Latrinen!


Ein Aufruf zum Frühjahrsputz auf Berliner Schultoiletten

An der Grundschule unserer Tochter gibt es demnächst einen Projekttag zum Thema Hygiene. Lehrer und Erzieher hatten sich zu diesem Anlass überlegt, die Kinder der ersten Klassen die Toiletten putzen zu lassen. Die Eltern waren davon nicht so begeistert. Viele Kinder meiden die Toiletten in Berliner Schulen. Das hat die „German Toilet Organisation“ (GTO) unlängst bei einer Umfrage unter 290 Schülern an zwölf Berliner Oberschulen ermittelt. Elf Prozent gehen demnach in der Schule nie auf die Toilette, 64 Prozent „nur im Notfall“. Dreiviertel der Befragten finden Schul-WCs zu schmutzig. Die maroden Zustände förderten den Vandalismus, der alles noch schlimmer mache, erklärt die GTO, eine Berliner Hilfsorganisation, die mit Spendengeld die sanitäre Lage in Ländern der Dritten Welt verbessert: in Indien, Sri Lanka oder Sambia. Auch Berlin hätte die Hilfe bitter nötig. Auf mehrere hundert Millionen Euro schätzen Experten den Sanierungsbedarf an Berliner Schulen, 64 Millionen stehen dafür in diesem Jahr zur Verfügung. Das reicht nicht einmal für die notdürftigsten Arbeiten.
Wer etwas über den Bildungsstandort Berlin lernen will, sollte sich in den Schulklos umsehen. Natürlich werden die Schultoiletten regelmäßig von Reinigungspersonal gepflegt. Aber das darf möglichst wenig kosten, daher wird vielerorts nicht häufig genug sauber gemacht. Wenn sich Kinder deshalb weigern die Toiletten zu benutzen, werden Eltern ihnen wohl kaum zumuten wollen, die Klos saubermachen zu müssen.
Die Schulleitung an unserer Grundschule – sie liegt in Tempelhof-Schöneberg – hält das Toilettenproblem für unlösbar: Für zusätzliche Reinigungseinsätze fehle das Geld, heißt es. Die Elternvertretung ist darum auf die Idee gekommen, zum Hygiene-Tag Väter und Mütter zu einer Putz- und Renovierungsaktion einzuladen. Reinigungsmittel und etwas Farbe werden kostenfrei gestellt. Eine zusätzliche Reinigung im Jahr ist schließlich besser als keine.
Die Bildungspolitik dieser Stadt macht immer klüger. Man hat den Eindruck: Gerade weil das Geld fehlt, blüht die Kreativität. Davon könnte die Stadt auch andernorts profitieren. Warum werden Antragssteller in Behörden nicht dazu angehalten, während der Wartezeit die Toiletten zu reinigen? Dafür sollte man Anreize schaffen: Wer putzt, kommt früher ran, Anträge werden bevorzugt bearbeitet. Und was ist mit den städtischen Kliniken? Statt über multiresistente Keime und Staubmäuse unter den Betten zu meckern, könnten Angehörige von Patienten doch mal die Latexhandschuhe überstreifen und sich mit dem Wischmopp nützlich machen. Merkwürdig, dass solche Ehrendienste bisher nur Schulkindern und ihren Eltern angetragen werden.
Im gemeinsamen Leitbild für die Hauptstadtregion von Berlins Regierendem Klaus Wowereit und Brandenburgs Ministerpräsident Matthias Platzeck heißt es: „Wir wollen, dass die Hauptstadtregion eine Vorbildfunktion bei der Modernisierung der Gesellschaft übernimmt. Ziel ist der aktivierende Staat, der die Menschen in ihrer Eigeninitiative unterstützt.“ In diesem Sinne zeigt Berlin, die Zukunftswerkstatt der Republik, wie die Zivilgesellschaft von morgen aussieht. Der Staat der Schuldenbremse lehrt Freiwilligeneifer und Demut – und drückt Steuerzahlern den Scheuerlappen in die Hand. Bürger, an die Latrinen!
Der Bezirk Tempelhof-Schöneberg hat übrigens gerade die Aufträge für die Reinigung von den Schulen neu ausgeschrieben. Die Zuschlagskriterien für „das wirtschaftlich günstigste Angebot“: niedrigster Preis (Gewichtung zwei Drittel), höchste Reinigungszeit (Gewichtung ein Drittel). Die Firma, die den Zuschlag erhielt, will dem Putzpersonal des Subunternehmens, das die Schulen bereits bisher gereinigt hat, künftig deutlich weniger Arbeitsstunden vergüten. An Berliner Schulen wird sich die sanitäre Lage wohl weiter an die in Entwicklungsländern angleichen. 

Dieser Beitrag im Tagesspiegel

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