Ich
bin ein Angriffsziel. Ein potenzielles Opfer. Das ist ein mieses Gefühl. Das
Haus, in dem ich wohne, steht auf der Abschussliste, genauer: auf der
„Berlinerliste – MieterInnen stressen zurück“. Eine Internetseite, die „für
kreative Aktionen gegen Verdrängung“ wirbt. Darunter dutzende Adressen:
Neubauprojekte, Wohnungsbaugesellschaften, Investoren, Immobilienunternehmen,
Makler, Agenturen und Verbände, Polizei- und Justizbehörden, Jobcenter,
Senatsverwaltungen, Abgeordnetenhaus, Rotes Rathaus. Sogar die „Stiftung
Zukunft Berlin“ steht auf der Liste.
Wie
solche Aktionen aussehen könnten, zeigen sieben Piktogramme in gelben Kreisen:
ein Pinsel; ein Bus, aus dem sich Fahnen schwenkende Demonstranten herauslehnen;
eine Sprühdose; eine brennende Mülltonne; Farbkleckse an der Wand; ein
Schraubenschlüssel gekreuzt mit einem Schraubenzieher; eine Computertastatur.
Was lässt sich damit anstellen? Alles Mögliche vermutlich, der Fantasie sind
keine Grenzen gesetzt. Gesucht sind offenbar Leute, die den Mut haben, der
Anstiftung Taten folgen zu lassen. Davon finden sich genug, wie unter dem Link
„Aktionen“ nachzulesen ist. Eine Sammlung von Bekennerschreiben zu Anschlägen.
Allein im Mai kam einiges zusammen: Die „Autonome Gruppe-Safaritour“ rühmt
sich, in Kreuzberg das frisch gegossene Betonfundament für einen „Luxusneubau“
geflutet zu haben. Nächtliche „Besuche“ auf Baustellen, Brandstiftungen und
Farbbeutelattacken, verhinderte Zwangsräumungen, Angriffe auf Jobcenter, die
SPD-Zentrale in Wedding („verantwortlich für die ganze Hartz4-Scheiße“), eine
Farbsprüherei an der Fassade des Landgerichts: „Zwangsräumung tötet!“
Auf
der nach oben offenen Skala der Eskalation ist Luft genug für jeden Irren, der
zu mehr entschlossen ist. Bei unserem Kinderarzt, der eine Neubauwohnung in einer
Parallelstraße bewohnt, flogen Steine durchs Fenster - und landeten im
Kinderzimmer. Die Botschaft ist angekommen: Wir sollen uns nicht sicher fühlen.
Wir können die nächsten sein.
Wir,
das sind meine Frau und ich, zwei Kinder, sechs und zehn. Ich lebe seit 23
Jahren in Berlin und habe nie jemanden verdrängt. Wir haben hier eine Familie
gegründet, wir arbeiten hier, wir lieben diese Stadt. Und ja, uns geht es
vergleichsweise gut, wir gehören wohl zu den Besserverdienenden. Wir haben uns
eine Eigentumswohnung gekauft – auf Kredit. Für den Neubau, in dem wir wohnen,
musste kein Mieter weichen. Wir fühlen uns unschuldig.
Aber
wozu soll ich mich rechtfertigen? Gegen Terror nutzen keine rationalen
Argumente. Wer versucht, sich herauszureden, ist schon eingeschüchtert. Angst,
das ist für Extremisten die halbe Miete.
Ich
habe Strafanzeige gestellt – wegen Bedrohung und Anstiftung zu Straftaten.
Gegen Unbekannt. Die Opfer haben Namen, die Täter nicht. Die linken Webmaster
operieren im Schutzraum der Anonymität, wie ihre zahlreichen Mittäter, die auf
der Seite neue Angriffsziele vorschlagen, sich mit bewaffneten Gruppen
solidarisch erklären, zum „Kampf der Lohnarbeit als Sklaverei!“ oder zur
„Sabotage der kapitalistischen Stadt“ aufrufen.
Was
haben wir damit zu tun? In unserem Haus wohnen Italiener, Franzosen, Holländer,
Deutschrumänen, Linksliberale und Konservative, Schwule, Atheisten und Juden.
Ich glaube, es sind drei Juden. Das reicht nicht, um Polizeischutz zu
beanspruchen. Sollen wir Brandwachen an unseren Mülltonnen aufstellen? Oder
nach München umziehen?
Bloß
nicht übertreiben! Nicht bange machen lassen! Ist ja nur eine kleine
Minderheit, die uns bedroht, und noch kleiner ist die Gruppe militanter
Extremisten. Aber es ist eine mächtige Minderheit, die längst bestimmt, wo
Guggenheim kein Lab errichtet, wo Investoren bauen dürfen und Neuberliner
besser nicht schwäbisch schwätzen. Sie vergiftet das Lebensgefühl in einer
Stadt, die sich so gerne als weltoffen und tolerant ausgibt.
Und
wo immer ihre Drohungen Wirkung zeigen, gibt die Stadt ein Stück Freiheit
preis. Das geht uns alle an. Ich höre sie schon höhnen, die autonomen
Webmaster: Jetzt wird er pathetisch und ruft nach Verstärkung! Stimmt schon. Es
ist ein beschissenes Gefühl, zum Opfer erklärt zu werden.
Erschienen im Tagesspiegel vom 25.05.2013Sonnabendbeilage MEHR BERLIN
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen