Mittwoch, 3. Juli 2013

Leise hüpfen

Was macht die Familie? Wie ein Vater die Stadt erleben kann

Ohne Kinder wäre diese Stadt erwachsener, stiller. Vermutlich sogar friedlicher. Bevor wir das Trampolin in unserem Innenhofgarten aufgestellt hatten, war die Hausgemeinschaft mehrheitlich damit einverstanden. Jetzt ist die Atmosphäre irgendwie angespannt. Unser Hausverwalter lud zu einer außerordentlichen Eigentümerversammlung im Garten ein. Etwa ein Dutzend Bewohner erschien zu einem klärenden Gespräch. Gewichtige Fragen, über die sich die Eltern (uns eingeschlossen) keine Gedanken gemacht hatten, als sie das Trampolin gekauft und aufgestellt hatten, wurden erörtert: Stellt das Trampolin eine bauliche Veränderung der Gartenanlage dar? Welche wechselnden Standorte kommen infrage, um die Belastungen für die Hausbewohner möglichst gerecht zu verteilen? Müssen die Eltern das Spielgerät ständig beaufsichtigen? Der Verwalter verteilte Kopien mit einschlägigen Gerichtsurteilen.
Eine Anwohnerin verwies auf die Verkehrssicherungspflicht und den Haftungsausschluss für die Eigentümergemeinschaft gemäß der „Trampolinentscheidung“ des Bundesgerichtshofs (VI ZR 223/07, Urteil vom 3.6.2008).
Während die anwesenden Erwachsenen Argumente wogen, hüpften nebenan unsere Kinder auf dem neuen Spielgerät, damit die Versammlung sich einen Eindruck von der Lärmimmission des Vergnügens verschaffen konnte. Der in normaler Gesprächslautstärke und ohne richterliche Hilfe erzielte Kompromiss sieht nunmehr feste Nutzungs- und Ruhezeiten vor. Hüpfverbot täglich von 13 bis 15 Uhr, und am Wochenende dürfen Kinder den Innenhof erst ab 11 Uhr betreten.
Unsere Hausfriedensvereinbarung sieht jetzt strengere Regeln vor als das Landesimmissionsgesetz, das erst vor zwei Jahren zugunsten des Kinderlärms liberalisiert wurde. Darin heißt es: „Störende Geräusche, die von Kindern ausgehen, sind als Ausdruck selbstverständlicher kindlicher Entfaltung und zur Erhaltung kindgerechter Entwicklungsmöglichkeiten grundsätzlich sozialadäquat und damit zumutbar.“
Es gilt aber anzuerkennen, dass Großstadtbewohner gerade zu Hause ein ausgeprägtes Ruhebedürfnis und ein Recht darauf haben, sich vom lärmenden Betrieb draußen erholen zu können. Als Vater einer sechs- und einer zehnjährigen Tochter habe ich dafür großes Verständnis: In unserer Wohnung ist nur Ruhe, wenn die Kinder schlafen.
Inzwischen haben Kinder ja ohnehin kaum noch Zeit zum freien Lärmen, dank ihrer Vollbeschäftigung in ganztagsbetreuten Kitas und Schulen, in Sportvereinen, Musikstunden und etlichen Pflichtterminen mehr. Nur die Ferien bleiben ein Problem. Zwar verreisen viele Kinder mit ihren Eltern, aber die übrigen können dafür umso mehr nerven. Hier müsste der Senat was für den Lärmschutz tun: Wie wäre es mit einem großen Sommercamp, einem Zeltlager draußen vor der Stadt, irgendwo in der Nähe vom Flughafen Schönefeld, wo sie niemanden stören, die kleinen Krachmacher? | Stephan Wiehler

Innere Ruhe finden Sie im Buddhistischen Meditationszentrum Lotus Vihara, Neue Blumenstraße 5 in Mitte (U-Bhf. Schillingstraße). Jeden Sonntag ab 18 Uhr gibt es eine Einführung für Anfänger. Infos unter www.lotus-vihara.de

Dieser Beitrag im Tagesspiegel vom 1. Juli 2013


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